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Publiziert oder verlegt? Verlagsdämmerung, Autorenaufbruch?

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2007-03-01   Lothar Köster

Publiziert oder verlegt? Verlagsdämmerung, Autorenaufbruch?

Wem das Folgende ungerecht oder ungenau vorkommt, hat zwar in vielen Fällen recht, verkennt aber die Absicht der polemischen Kontrastverstärkung, welche Muster und Tendenzen herausarbeiten soll und nicht das Konkrete, sondern ausschließlich das Typisches zum Gegenstand hat.

Der Wunsch
Was ist der Traum eines jeden Autors: Das Werk wird für fertig erklärt, im gepolsterten Umschlag an den Verlag gesendet, und nach einer knappen Woche spricht der Lektor mit lobenden Worten vor, um über die schnelle Realisierung der ersten Auflagen und die Präsentation auf der Buchmesse zu verhandeln. Wer hier noch nicht schweißgebadet aufgewacht ist, sieht jetzt einen Kontoauszug mit der ersten Hälfte des Honorars, fünfstellig, und die Vorabmeldungen im Feuilleton großer Tageszeitungen in seinen begnadeten Händen zittern ...

Manchmal aber ist ein Füllhalter auch im Traum nur ein Füllhalter, und dieser selbstgefällige Gedanke schreit geradezu nach einem Vaterschaftstest. Wenn der Autor nach langem Kampf mit jedem Buchstaben den letzten Punkt unter sein Werk gesetzt hat, kommt sicher das Bedürfnis auf, sich zurücksinken zu lassen und auf den Applaus der Welt zu warten. Tatsächlich muß sich seine Tätigkeit vom stillen Schreiber im Turm sofort umwandeln in den laut preisenden Verkäufer eines Produkts, von dem die Welt noch nichts weiß.

Der Mythos
In der goldenen Epoche der bildungs- und literaturversessenen Bürger, der Aufbruchszeit der Händler, Wissenschaftler, Fabrikanten, Künstler und Weltbürger funktionierte das Traumschema durchaus. Die Elite mit Schriftmonopol gierte nach neuem Stoff für die Imagination des Dramatischen, und ein Verleger konnten mit einem guten Buch so viel verdienen, daß sich letztlich auch dessen Autor von seiner Kunst ernähren und weiterschreiben konnte. Diese bürgerliche Elite erschuf sich aus bloßer Bedürftigkeit heraus die bekannten Institutionen der Literatur, nämlich die Verlage, die Buchhandlungen und die Feuilletons als Kritikforum.

Diese Epoche ist mit der physischen Existenz des Bürgertums untergegangen, und zudem haben zwei gewaltige Umwälzungen das Medium Buch wie auch das Publikationswesen leise, aber radikal verwandelt.

Markt und Masse
Die erste Umwälzung betrifft die soziale Basis der Literatur, und sie begann bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts mit dem ökonomischen Erfolg der Massenpresse. Jeder Verleger grübelt nächtelang über die 'wahren' Bedürfnisse seiner Kunden, und wenn man statt einer gebildeten Elite nun die Masse in jeder Hinsicht als Kunden binden will, müssen sich die Maßstäbe von Erfolgsqualität diametral verkehren. Aus der Furcht, dem Vorwurf der Flachheit ausgesetzt zu sein, wird nun die Furcht, den maximalen Massenmarkt durch Ansprüche oder geistige Voraussetzungen einzuengen. Die Entwicklung beginnt schleichend und gegen den Widerstand der Eliten, aber der Massenumsatz des Niedrigschwelligen triumphiert in der Bilanz über das Solide und Anspruchsvolle. Die schnellen Printmedien (Zeitungen, Zeitschriften, Serienromane) und die neuen Medien Rundfunk und Fernsehen drücken dem klassischen Buch immer mehr ihre Stempel auf: Schnelle Konsumierbarkeit und illiterater Visualismus sind nun notwendige Kriterien für die Risikobereitschaft der Lektorate. Dieselbe Entwicklung, die der Kinofilm in den letzten zwanzig Jahren genommen hat, schläg auch im Buchmarkt durch: Immer mehr Produktionen müssen in immer kürzerer Folge und mit immer kürzerer Verkaufsdauer immer mehr Kosten einspielen, wobei allerdings, anders als beim Film, nicht die Produktionskosten in die Höhe schnellen, sondern die Werbeetats, denn die allein machen aus Manuskripten sichere Erfolge oder kalkulierbare Bestseller.

Ein ruhiges Verlagsgeschäft mit einem breiten Angebot solider Werke, die über einige Jahre die Kosten wieder einbringen, ist in dieser Marktdynamik nicht einmal als Nischenkonzept überlebensfähig. Die Sortimente fordern die großen Paletten, und die Buchhandlungen bestellen schon lange nicht mehr an den Sortimenten vorbei.

Byte und Blei
Die andere Umwälzung begann mit der tiefen Krise des Druckereigewerbes vor zwanzig Jahren, ausgelöst durch die Anfänge der Digitalisierung der Drucktechniken. Was damals in den Großdruckereien der Tageszeitungen zaghaft begann und den klassischen Schriftsetzer in die Umschulung oder die Arbeitslosigkeit trieb, hat sich erst in den letzten Jahren zu einer ausgereiften Gesamttechnik entwickelt, die jegliche Druckproduktion bis in den letzten Copyshop entmechanisiert hat. Die Kette der Arbeitsschritte von der Idee bis zum Druck ist jetzt faktisch an einem Standard-PC ausführbar, und zuletzt wandert nur noch eine Datei über das Internet zur Hinterhof-Digitaldruckerei und in Maschinen, die Bücher sogar als Einzelexemplare rentabel produzieren können.

Hier ist die Schere zwischen der Publikationspraxis und den Autorenbedürfnissen schon so weit auseinander gegangen, daß eine Überbrückung nicht mehr möglich ist. Der Markt des Massenbuches, fast vollständig in der Hand von kaufhausartigen Großbuchhandlungen und internationalen Verlagskonzernen, kann tendentiell nur noch Mainstream-Produktionen mit Werbekampagnien zu Bestsellern im Monatsrhythmus schmieden.

Literatur global
Die ambitionierten, aber noch namenlosen Autoren von Belletristik und Schachbüchern sind auf diesem Terrain so verloren wie ein Fisch in der Wüste. Sie können nur die Flucht nach vorne antreten und jenseits dieser 'Fast-Lit'-Ökonomie ihre Leser im lokalen oder dezentralen Komunikationsnetz suchen. Genau hierzu benötigen sie das andere, neue Publikationsmuster, die kostengünstige Kleinstauflage im Digitaldruck, die sich jede Privatperson ohne finanzielles Risiko leisten kann. Dies schafft das Bedürfnis nach einem neuen Verlagsmodell, das mit allen überholten Erwartungen an Verlagswesen, Buchhandel und Autorenerfolg aufräumt und mit realistischer Nüchternheit die unbefriedigten Bedürfnisse von unbekannten Autoren aufgreift: Der 'Tante-Emma'-Verlag, ein kleines, aber hochmodernes IT-Unternehmen, keine Karrierefabrik, sondern die Talentförderung in kleinen Schritten.

Kleine Brötchen, steinige Wege
Paradoxerweise kann der 'Tante-Emma'-Verlag all das, was der alte Großverlag nicht mehr oder noch nie richtig konnte:
- Er minimiert die Kosten der Publikation um Größenordnungen und entläßt den Autor damit aus der Abhängigkeit vom vorlegenden Investor. Der Autor wird ökonomisch selbständig.
- Er beschleunigt den Publikationsakt von vielen Monaten bis Jahren nun auf wenige Wochen. Das Werk wird nach Fertigstellung publik und nicht eingekellert und abgelagert. Die Leser bekommen ein 'frisches', noch ofenwarmes Werk.
- Er ist gerade durch Innovation und Digitalisierung besonders individuell, denn die Vereinfachung und Automatisation der Publikationsarbeiten ermöglichen die kurzfristige und individuelle Steuerung und Anpassung von Projekten.
- Er ist (prinzipiell) Qualitätsneutral, was positiv ist, denn nun können auch anspruchsvolle und unkonventionelle Bücher wieder produziert und verbreitet werden. Er ist ökonomisch vom Massengeschmack und dem Diktat des 'Einschaltquote' abgekoppelt und bringt dadurch wieder Bewegung in den literarischen Raum der Gesellschaft. Plötzlich sind wieder Überraschungen und Experimente möglich.
- Er schafft mehr Ehrlichkeit und Transparenz für die Leser, denn statt der professionellen Suggestionen und Reizungen der Bestsellerwerbung und -Listen müssen die Leser nun selbst in die Bücher schauen, um herauszufinden, ob diese ihnen Genuß und Gewinn bringen.
- Er wirkt (um auch dies zu erwähnen) als Ausnüchterungstherapie für all jene von uns, die dem naiven Erlösungsglauben verfallen waren, allein durch Einsendung eines Erstlingswerks über Nacht berühmt oder gar reich zu werden. Der Autor erlebt hier Kleinstauflage für Kleistauflage die tatsächliche Resonanz auf sein Werk und erfährt Länge und Mühsal der 'Normalroute' bei der Verbreitung von Erstlingswerken.

Bedenken
Sicher gibt es nicht nur Vorteile, und sicher gibt es sie nicht in dieser rosaroten Form. Folgendes, durchweg Positive wird der 'Tanne-Emma'-Verlag (so) nie bieten können:
- Die professionelle Erfahrung eines Lektors, der schon über Jahre und Jahrzehnte Bücherprojekte betreut hat.
- Der für Qualität bürgende Name eines alten Verlagshauses, der Buchhandlungen auch zu gewagten Bestellungen verleiten kann.
- Die bundesweite Verteilung von Verlagssortimentwerbungen und das Netz von Verlagsagenten, welche die neuesten Publikationen in den Buchhandlungen und Kulturinstitutionen bekannt machen.

Man kann dem natürlich entgegenhalten, daß die Masse der abgewiesenen Autoren diese Dienste ohnehin nicht genießen konnte. Trotzdem wird man dies schmerzlich vermissen.

Das Experiment
Das Konzept des VerkanntenVerlags geht über das eines 'Tante-Emma'-Verlags deutlich hinaus, denn hier werden, unter Ausnutzung der alltäglich präsenten Internettechnik, drei weitere wichtige Funktionen integriert:
- Die Leser können jederzeit in jeder Publikation probelesen. Hier wird schnell deutlich, daß der Weg in die gute alte Buchhandlung stets noch ein Umweg voller Beschwernisse war. An Öffnungszeiten und Bestellfristen vorbei kann jetzt jedes Werk 'aufgeschlagen' werden, ohne daß der Leser indirekt für zerlesene Exemplare mitbezahlen muß.
- Die Kaufentschlossenen bestellen direkt im Web und bekommen die Bücher per Post geliefert. Das 'in-der-City-Samstags-einen-Parkplatz-suchen' ist sicher keine schützenswerte Freizeitgestaltung oder kulturbildendes Brauchtum dieser Gesellschaft.
- Die literarische Kritik, bislang auf ferne Lektoren und Feuilletonkritiker abgeschoben, bekommt eine angemessen plurale Basis über das moderierte online-Kritikforum. Hier können Kritiken wieder zu einem Diskurs verschmelzen, sich durch die Repliken im Rahmen des Sachlichen einpegeln und in der Langfristigkeit die Qualität von literarischen Werken entwickeln. Eine Literaturkritik, die auf den geistigen Schultern von vielen Lesern und Autorenkollegen ruht, kann sich zu einer intensiven Schulung für Autoren und Leser gleichermaßen entwickeln und durchaus auch zur Grundlage einer volkstümlichen Literaturkompetenz ausweiten.

Mediendynamik
Warum, so kann man gleich zurückfragen, blühen nicht überall solchen neuen Dienstleistungsformen wie ehemals die 'Tante-Emma'-Läden an jeder Ecke auf? Medien leben von der Bekanntheit und der Einübung in die Nutzung. Da die Medienlandschaft und der Medienkonsum ein gleichermaßen komplexes wie dynamisches System bilden, kann niemand die Tendenzen in Massen-Prominenz und Individual-Kompetenz eines neuen Mediums verhersagen. Dies gilt umso mehr, als hier nicht technische Begrenzungen die Entwicklung dominieren wie seinerzeit beim Telefon oder Fernsehen, sondern ausschließlich die schwer faßbaren Bedürfnisse und Gewohnheiten der Konsumenten. Rationalistisch begründete Rezepte und Formeln scheitern hier bereits im Ansatz. (Nicht an ihrer Fehlerhaftigkeit, sondern an der unüberwindlichen Mauer der Komplexität) Es hilft nur das Experiment, der aktive Versuch unter intensiver Beobachtung der Entwicklungen und Erfolge.

Sinnvoll wird das Engagement in diesem weiten Feld neuer Möglichkeiten insbesondere durch die schlechte bis hoffnungslose Lage der vielen Autoren, die es zu einem gewissen Teil verdient hätten, von ihren Mitmenschen wahrgenommen, d.h. gelesen zu werden. Hier verhält es sich ähnlich wie im Sport: Eine literarische Elite kann sich nur auf einer breiten Basis literarischen Interesses entwickeln, und die Einzelnen benötigen eine Folge von Versuchen, bis sie ihre Mittel kennen und ihren Stil gefunden haben.

Hat man sich als Autor erst einmal von den konventionellen Traumbildern des 'über-Nacht-berühmt-werden' losgelöst, wird der Blick frei für die neuen Möglichkeiten, die durch technisch-soziale Umwälzungen einerseits und die ökonomische Krise klassischen Verlegertums andererseits realistisch und notwendig geworden sind.

Ein Zurück wird es ohnehin nicht geben.

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