Die CMA CGM Jules Verne im Hafen
Viel mehr werden wir von ihr nicht sehen, jedenfalls nicht von außen.
Standard-Container: Die Erfolgsgeschichte
Sie reisen verplompt. Keiner an Bord weiß, was in ihnen ist. Manchmal sind sie aber einfach nur leer.
Die Schattenseite: giftige Abgase
Die Schiffsdiesel verbrennen tonnenweise Abfallöle.
Durch alle Wetter
Strahlender Sonnenschein, dicker Dunst, und eben auch Regenfronten.
Ladekräne in Fernsehtum-Höhe
Kranfahrer in der Ameisenrolle, Zustieg per Aufzug
Logistik a la Sisyphos
Programmierer-Heere haben die Hafenarbeiter ersetzt.
Der Riese zieht ruhig durch schwere See
Trotzdem, der Kapitän weicht Stürmen lieber weitläufig aus.
täglicher Besuch auf der Brücke
Modernste Technik, aber auch Karten und Bleistifte.
Rushhour auf der Handelsroute
Mal herrscht nervöse Enge, dann tagelang kein Schiff.
ganztätige Durchfahrt durch den Sueskanal
Links Wüste, rechts das arbeitende Ägypten.
Am ruhigen Bug, der einzigen Freifläche
Das Schiff ist ein zugestelltes Gewerbegebiet, man trägt Helm und Schutzweste.
Abendstimmung mit jungem Mond
Wenn man Sterne sieht, sieht man wirklich alle.
Warmwasser-Spatzen: fliegende Fische
Vom rasenden Riesen herab sind Fische nicht einfach zu beobachten.
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6.11.
Rotterdam. Voll automatisierter Hafen. In den Kränen und Zubringern sitzt niemand. Schon in Hamburg dachte ich, dass so ein Hafen auch ein Organismus ist, vieles erinnert an tierische Bewegungen. Die Kräne sehen wie gigantische Giraffen aus. Aber am besten gefallen mir die Greifer von den Kränen, mit denen Container an ihren Platz gestellt werden. Diese Dinger haben an den vier Ecken Füßchen, mit denen sie zupacken. Die Füßchen haben jeweils drei „Zehen", und manchmal bewegen die sich nicht ganz synchron – wie lebendig. Und nicht immer passt alles gleich auf den Zentimeter; dann müssen die Container noch mal gehoben werden, vielleicht nochmal, bis sie einrasten und es den finalen Rums gibt. Dieses Imperfekte macht das Metall lebendig. ≈
In Rotterdamm ist der Grad der Präzision noch höher. Und in dem Augenblick, in dem wir darüber reden, bekommt der Kran einen Container just NICHT rausgehoben. Nach einigen Versuchen wird an einer anderen Stelle weitergemacht. ≈
Die französischen Offiziere und die überwiegend philippinische Besatzung sind – bei den Mahlzeiten – getrennt. Auch die philippinischen Offizieren essen in der Mannschaftsmesse. Wir wurden in der Offiziersmesse platziert, es geht höflich, freundlich, vornehm zu, während aus der Mannschaftsmesse lautes Gelächter erschallt.
7.11.
Macht jeder Hafen andere Geräusche? Hier in Rotterdam ist es das besonders laute Pfeifen der Kräne.
8.11.
Zeebrücke. Wir sind noch im Großstadt-Modus: Die Langsamkeit, mit der das Ablegen z.B. erfolgt, macht uns ungeduldig. Wann geht es denn nun los? Jetzt... Nein, doch nicht... Jetzt? ... Was machen die bloß so lange?
10.11.
Gestern Landgang Le Havre. Das spannendste war das Hafengelände selbst und der Fahrer, der uns zurück brachte. Er erzählte Interessantes, z.B. über die stinkenden Sünden Exxons mitten im Hafen ≈
Auf dem Hafengelände darf man keinen Schritt zu Fuß gehen, strenge Kontrollen, Hochsicherheitsbereich. Ein Überseehafen ist unvorstellbar groß. Wir fuhren mit dem Auto viele Kilometer drumherum und zu unserem Liegeplatz. Wenn man dann unter der Jules Verne steht und hochschaut, ist man komplett eingeschüchtert. Wir sehen das Schiff nie im Ganzen, nur ein Stück der Seitenwand oder bei der Anfahrt den breiten Hintern, der schon erschreckend genug ist. Der Fahrer machte gleich ein Foto. ≈
In der Nacht muss Exxon gelüftet haben, morgens war ein böse giftiger Gestank in der Kabine.
11.11.
Heute haben wir das, was wir wollten: hohe See samt eindrücklicher Schiffsbewegungen. In der Nacht war es so, als wenn an unserem Bett grob gerüttelt wurde. Vormittags musste ich Reisekaugummis kauen. ≈
Der Ärmelkanal hat uns entlassen, wir schippern raus in die Biskaya. Mal sehen, was die nächste Nacht bringt. ≈
Es ist schwer, die Höhe der Wellen zu schätzen, wir müssen uns immer wieder erinnern, wie hoch wir hocken – nur wenn gelegentlich ein kleineres Schiff auftaucht und wir sehen, wie es mit seinem Bug fast eintaucht, ahnen wir, was sich da draußen abspielt. ≈
Eben hat der Wind unseren schweren Massivholztisch auf dem Balkon umgepustet, der Regen peitscht, die Wellen gehen hoch. Mein Vertrauen in dieses Schiff ist grenzenlos, fühle mich trotz Sturm geborgen. Schon in Hamburg mussten wir Notsignale lernen, einen Neoprenanzug anprobieren, weitere Übungen wurden angekündigt. Aber was soll diesem Riesen zustoßen?
12.11.
Wir erwachen an einem frühlingshaften Tage auf Höhe Portugals. Die Wellen in der Nacht wiegten das Bett diesmal richtig, haben es aber zu gut gemeint. Das Rollen ging stets paar Zentimeter über den Kipp-Punkt hinaus, so dass ich mich anklammerte, um nicht aus dem Bett zu fallen. Die Amplitude war aber so groß, dass ich zwischendurch oft einschlief – und erneut im Klammermodus erwachte ≈
Morgen werden wir durch die Meerenge von Gibraltar fahren und in Algeciras einen zusätzlichen Stopp einlegen. Ob aus diesem Grund oder wegen Verzögerungen durch den Sturm – unser Schiff „rast“ mit 21,5 Knoten dahin, sonst sind es ca. 18 Knoten. Allerdings können wir das oben auf der Brücke nur ablesen, schätzen können wir es nicht.
13.11.
Gleißend schönes Wetter, Frühstück in offener Tür. Mehr als 22 Knoten! ≈
Gibraltar ist wirklich ein markanter Felsen mit Kanonen und allem Drum-und-Dran. ≈
Der Kapitän hat Zeit für einen Schwatz zwischendurch: Er ist zwei Monate hintereinander auf See, die französischen Offiziere drei, die philippinischen sechs und die Crew neun Monate. „Sklavenarbeit“ nannte er das. Die philippinische Mannschaft scheint es mit Humor zu nehmen. Alle lachen gerne und wir lachen bei fast jeder Begegnung mit ihnen.
14.11.
Bei der Ausfahrt aus der Bucht unseren ersten Delphin dicht am Schiff gesehen ≈
In Algeciras hat es länger gedauert, aus dem geplanten halben Tag wurde fast ein ganzer. Schiff ist rappelvoll, von oben sieht es zum Heck hin wie eine fussballfeldgroße, bunte Ebene aus, auch nach vorne sind fast alle Lücken gefüllt.
15.11.
Morgens die algerische Küste zum Greifen nahe. Nach einigem Rechnen werden es aber doch mehr als 10 km sein. Wir sehen Ortschaften, bei entsprechenden Lichtverhältnissen auch, wie hoch die Brandung ist, die an die Küste donnert. Sehr bergig, bezaubernd. Mit den Maßstäben ist es schwierig, wir müssen ständig rechnen, erinnern, vergleichen. Gefühlt würde ich sagen: die Küste ist 3 km entfernt und wir sitzen 10 Meter hoch – dabei sind es mindestens 50 Meter über dem Meeresspiegel.
16.11.
Vormittags angeseilte Männer, die einen Kühlcontainer unter uns reparierten – alpiner Stil. ≈
Nachts erste Zeitumstellung. ≈
Kleine, schlaue Vögel reisen mit. Singvögel, Rotschwänzchen? Sehr quirlig, Künstler im Insektenfangen, ja auch die gibt es ≈
Von Sizilien waren nachts nur einige Lichter zu sehen. Der Ätna spuckte ausgerechnet heute leider nicht. Um 22 Uhr sahen wir auf der Brücke das Schauspiel eines geteilten Himmels. Auf der italienischen Seite Sternenpracht, auf der afrikanischen dunkle Wolken, aus denen es blitzte.
17.11.
Gleich eine Führung durch den Maschinenraum. ≈
Danach: eindrucksvoll riesig, grandios laut (Ohrstöpsel in Sonderedition!), geheimnisvoll. Lothar fotografiert, erst hinterher können wir mit dem Kadett anhand der Fotos sprechen: Turbinen, Dampf, Zylinder, Frischwasser, Meerwasser, wiedergewinnen, reinigen, verdichten, erwärmen, kühlen, Zylinderkopfdichtungen, Öl wie Nutella... Nach meiner Rechnung ist der Maschinenraum ca. 30-35 Meter hoch (habe Stufen gezählt, 88 bis zum Unterdeck)! ≈
Insgesamt ein Wunderwerk der Ingenieurskunst; ich war sowieso schon voller Hochachtung, nun erst recht. Bei diesem modernen Schiff ist alles auf Ausnutzung der Energie bedacht. Bei 18 Knoten fährt es am günstigsten, 22 oder 24 Knoten kann es auch, dann ist der Verbrauch natürlich deutlich höher. ≈
15.500 Container haben wir an Bord, pro Tag ca. 150 Tonnen Öl Verbrauch, umgerechnet auf Lastwagen ist das unschlagbar! Wenn ich richtig rechne, dann sind das ~10 Liter Öl pro Container am Tag. An einem Tag schaffen wir ca. 500 Kilometer, also pro 100 km ein Verbrauch von 2 Liter. Die Mannschaft besteht aus 29 Personen, pro Container also 0,0019 Mann. ≈
Kein Land, kein Schiff, kein einziges, Wasser ruhig, Himmel bewegter. Wir sind allein auf der Welt. ≈
Am Bug gewesen, herrlich dort, sonnig und schattig, gut zu sitzen, zu schauen und SEHR leise.
18.11.
Aufgewacht bei spiegelglatter See auf der Höhe Ägyptens. Wasser, Luft und Himmel sind grau in allen Abstufungen. ≈ Das beste ist das Frühstücken: entweder in der offenen Tür unserer Kabine oder auf dem Balkon. Es gibt nichts Schöneres, als beim Müsli aufs Wasser zu schauen. ≈
Heute werden wir uns am Suezkanal anstellen und morgen früh hineinfahren.
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